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Was ist ein Notfall?

In den meisten Fällen ist es für uns bei der Annahme eines Notrufes wichtig, den allgemeinen Zustand Ihres Tieres möglichst genau einschätzen zu können. Seien Sie deshalb bitte auf Rückfragen von uns gefasst, wie zum Beispiel: Ist Ihr Tier noch ansprechbar bzw. geh- und stehfähig? Wann war die letzte Futteraufnahme? Wie ist die Farbe des Zahnfleisches über den Eckzähnen? Rot, rosa, blassrosa, weißlich oder bläulich? Haben Sie Harn- und Kotabsatz beobachten können? Wie ist die Körpertemperatur? Ist der Durchfall breiig oder wässrig? Welche Farbe hat der Kot, etc.. Diese Fragen helfen uns dabei, Ihren Notruf richtig einordnen und eventuell zeitsparende Vorbereitungen treffen zu können.
Lassen Sie uns doch zusammen eine lockere und nicht abschließende Auflistung der häufigsten Probleme durchgehen, die nach unserer Erfahrung zu Notrufen in der Nacht oder am Wochenende führen:

Lahmheit (Hinken):
Ihre Katze kommt von draußen rein und hinkt oder Ihr Hund hat mit einem Kumpel gespielt und hinkt ebenfalls: Als erstes stellt sich die Frage, wie stark das Hinken ist. Wenn die Pfote gar nicht mehr aufgesetzt wird oder nur noch minimal auftippt, ist das eine hochgradige Lahmheit, die in der Regel auf starke Schmerzen hindeutet. Je mehr das Bein belastet wird, desto weniger dramatisch ist die Verletzung in der Regel. Unabhängig davon gilt es natürlich, auf offene Wunden oder völlig abnorme Bein- und Pfotenstellungen zu achten. Diese stellen immer einen Notfall dar. Ansonsten kann man durchaus für ein, zwei Stunden abwarten und dabei beobachten, ob die Lahmheit sich in dieser Zeit bessert. Wenn ja, dann haben Sie es meist mit einer leichten Verletzung (Umknicker, Zerrung, Insektenstich) zu tun und können durchaus weiter abwarten, ob es innerhalb kurzer Zeit zur Selbstheilung kommt. Bessert sich die Lahmheit nicht oder wird gar schlimmer, müssen Sie davon ausgehen, dass Ihr Tier anhaltende Schmerzen hat, und da können und wollen wir helfen. Rufen Sie bitte an!

Offene Wunden:
Wunden können auf vielfältigste Weise entstehen (Biss, Glasscherben, Äste, Stöckchen, etc.) und sind mit Ausnahme von oberflächlichen Kratzern und Abschürfungen fast immer ein Notfall. Das liegt unter anderem daran, dass Hautwunden möglichst frisch versorgt werden sollten. Oft befinden sich auch Fremdkörper (Haare, Holzsplitterchen, Steinchen und ähnliches) in der Wunde, die eine Infektion mit verstreichender Zeit immer wahrscheinlicher werden lassen. Bisswunden müssen grundsätzlich tiermedizinisch behandelt werden, da sich das wahre Ausmaß der Verletzung von außen gar nicht beurteilen lässt. Rufen Sie bitte an!

Durchfall und Erbrechen:
Wenn Ihr Tier Durchfall hat, ist das meist kein Notfall, auch wenn sich Spuren von Blut im Kot finden. Letzteres ist beim Fleischfresser recht häufig und nicht so beunruhigend wie beim Menschen. Bei schwerem Durchfall, der auch in der Wohnung abgesetzt wird, müssen Sie zwar nicht nachts anrufen, aber auch nicht von Freitagabend bis Montagmorgen abwarten.
Ganz anders sieht es bei wiederholtem (!) Erbrechen oder Brechdurchfall aus. In diesem Fall kann das Tier die entstehenden Flüssigkeitsverluste nicht mehr ausgleichen und kommt deshalb schnell in echte Schwierigkeiten. Wenn sofortige Nulldiät nicht zur Beendigung des Erbrechens führt und auch Wasser nicht bei sich behalten wird, so ist das ein echter Notfall. Rufen Sie bitte an!

Fremdkörper:
Fremdkörper können abgeschluckt werden, sich aber auch in den Augen, den Gehörgängen, der Nase, der Luftröhre und der Lunge befinden. Fremdkörper sind eigentlich fast ausnahmslos schmerzhaft und/oder gefährlich. Rufen Sie bitte an!

Sonderfall „abgebrochener Zahn“:
Für den Tierzahnarzt ist es wichtig, dass ein abgebrochener (frakturierter) Zahn baldmöglichst versorgt werden kann. So etwas ist nicht unbedingt ein Nachtnotfall, ein Notruf am Samstag oder Sonntag ist aber durchaus berechtigt. Bei offen liegendem Wurzelkanal läuft einem die Zeit weg; oft kann der Zahn schon acht Stunden nach der Verletzung nicht mehr am Leben gehalten werden. Durch Gewalteinwirkung (Unfall, Beisserei) gelockerte oder gar ausgeschlagene Zähne stellen einen Sofort-Notfall dar. Bringen Sie ausgeschlagene Zähne in ein sauberes Tuch verpackt mit in die Praxis, denn unter bestimmten Voraussetzungen können sie erfolgreich wieder eingesetzt werden. Rufen Sie bitte an!

Sonderfall „abgestürzte Katze“:
Auch Katzen, die geborenen Balancier-Künstler, stürzen gelegentlich von Balkonen oder Fenstersimsen in die Tiefe. Eine solche Sturz-Katze muss auf jeden Fall tierärztlich untersucht werden, auch wenn sie äußerlich unverletzt wirkt. Bei Abstürze kommt es nicht selten zu schweren inneren Verletzungen, die dann mit Zeitverzögerung zu ernsten Konsequenzen führen können. Aber auch wenn die Katze Glück hatte und keine Organe oder Knochen beschädigt worden sind, so hat sie doch mehrfache Prellungen und Stauchungen, die wenigstens mit einem Schmerzmittel behandelt werden sollten. Rufen Sie bitte an!

Das Kippfenster-Syndrom:
Katzen sind hartnäckige und eigensinnige Tiere. Wenn der einzige Weg nach drinnen oder draußen ein gekipptes Fenster ist, versuchen Katzen gerne, ob man da nicht vielleicht durchkommt. Wenn das schief geht, rutscht die Katze in den sich nach unten verjüngenden Spalt des Fensters, und zwar um so tiefer, je mehr sie in Panik zappelt. Dabei werden speziell die Nieren und die die Beine versorgenden Nerven gequetscht, bis hin zum Nierenversagen oder zu schwersten Lähmungserscheinungen. Außerdem hat eine solcherart verunglückte Katze schreckliche Schmerzen. Das ist ein absoluter Notfall. Rufen Sie bitte an!

Lähmungen und Koordinationsstörungen:
Wenn plötzlich Hinter- oder Vorderbeine nicht mehr richtig funktionieren, der Kopf nicht mehr gerade gehalten werden kann oder das Tier taumelt, ist ein Notruf ohne Zögern angebracht, denn diese Erscheinungen haben eigentlich immer ernste Ursachen. Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist ein epileptischer Anfall. Selbstverständlich können und sollten Sie anrufen, wenn Ihr Tier einen Krampfanfall hat, in der Regel geht der Anfall aber noch während des Telefongesprächs vorüber. Aber egal, rufen Sie bitte an!

Futterverweigerung beim Pflanzenfresser:
Nachlassender Appetit oder gar Futterverweigerung ist beim Pflanzenfresser ein viel ernsteres Symptom als bei den Fleisch- oder Allesfressern. Pflanzenfresser haben keine Reserven und geraten bereits innerhalb von ein, zwei Tagen in echte Schwierigkeiten. Das ist kein Nachtnotfall, aber auch nichts, was man von Freitag bis Montag beobachten könnte. Rufen Sie bitte an!

Unklare Störung des Allgemeinbefindens:
Sie haben das bestimmte Gefühl, dass es Ihrem Tier nicht gut geht, dass sein Allgemeinbefinden gestört ist, wie man im Fachjargon sagt. Diese Situation ist schwierig einzuschätzen, aber einige Voruntersuchungen können Sie trotzdem durchführen (lassen Sie sich die fachgerechte Durchführung bei Gelegenheit von uns zeigen). Inspizieren Sie als erstes das Zahnfleisch. Ist es blassrosa (Katzen) bis rosarot (Hunde), kann die Kreislaufsituation nicht sehr bedrohlich sein. Danach drücken Sie mit dem Finger kurz auf das Zahnfleisch über den oberen Eckzähnen, so dass ein weißer Fleck entsteht. Verschwindet dieser Fleck innerhalb von zwei Sekunden wieder, ist der Blutdruck Ihres Tieres annähernd in Ordnung. Zuletzt können Sie noch Fieber messen. Mit diesen Informationen gerüstet, macht es Sinn, die weitere Einschätzung des Falls uns zu überlassen. Rufen Sie bitte an!

Wurm-, Floh- und Zeckenbefall:
Erstaunlich oft werden wir (auch nachts) angerufen, weil festgestellt wurde, dass das Haustier von Parasiten befallen worden ist. Um es klar auszudrücken: Das ist nicht gerechtfertigt! Wurm- und Flohbefall sollten durch regelmäßige antiparasitäre Vorsorge verhindert werden und stellen keinen Notfall dar. Eine Zecke sollten Sie selbst entfernen können; lassen Sie sich von uns zeigen, wie das geht. Wenn dabei ein Zeckenkopf in der Haut verbleibt, ist dies ebenfalls kein Nacht- oder Wochenendnotfall. Rufen Sie bitte erst am nächsten Arbeitstag an! Eine wichtige Ausnahme gibt es allerdings: Der Befall mit Fliegenmaden beim Kaninchen ist tatsächlich ein unmittelbarer Notfall!

Ralph Rückert, Tierarzt